Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren

Neununddreißig Buchstaben, sieben Zentimeter lang. Ein Glück, dass es von dem Ungetüm eine Kurzform gibt. Sie wird mit den drei Buchstaben UVP kurz gehalten. Die durchschnittlichen Dauer eines Umweltverträglichkeitsverfahrens lag – gerechnet ab Vollständigkeit der Projektunterlagen – mit wenigen Ausnahmen bei einem statistischen Mittelwert von sieben Monaten im Jahr 2017. Das war das letzte erhobene Jahr und ist mit den vorangegangenen vergleichbar. Und trotzdem behaupten Wirtschaftstreibende unablässig, Behörden würden im Schneckentempo arbeiten und Umweltorganisationen Verfahren verschleppen. Aber was ist das Umweltverträglichkeitsverfahren?

One-Stop-Shop

In diesem Bewilligungsverfahren prüft zuerst die Behörde, ob ein Projekt umweltverträglich ist und damit umgesetzt werden kann. Dabei geht es immer um öffentliche oder private Projekte, die aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Projekte wie z. B. Wasserkraftwerke, Parkplätze, Einkaufszentren oder Skigebiete. Das macht sie in einem großen Verfahren, in dem sie alle rechtlichen Bereiche in einem abdeckt, die für so eine Bewilligung vonnöten sind. Deshalb funktioniert das UVP-Verfahren auch wie ein One-Stop-Shop, wodurch sich der Antragsteller andere Verfahren in den einzelnen Fach- und Rechtsbereichen erspart. Der Tante Emma-Laden im Verwaltungsbereich sozusagen, da kriegst alles!

Was liegt am Weg?

In erster Linie der Mensch. Wir zählen zur Umwelt, weil wir zum Beispiel unter Immissionen wie Verkehrslärm und Feinstaub leiden oder auch durch unangenehme Gerüche gestört werden könnten. Wenn sich zum Beispiel in unserer Nachbarschaft ein großer Schweinemastbetrieb ansiedelt oder eine neue Autobahn einen Steinwurf weit entfernt die sanfte Landschaft und das CO2-speichernde Moor zerschneidet, wird das Projekt wahrscheinlich nach dem UVP-Gesetz zu prüfen sein. Und ob es erhebliche Auswirkungen auf uns hat. Zur Umwelt zählen aber auch die vielen verschiedenen Tiere und Pflanzen und die Räume, in denen sie leben. Dabei ist der Verlust der biologischen Vielfalt auch deshalb im besonderen Fokus, weil der Mensch durch sein Handeln grad eben das 6. Massensterben ausgelöst hat. Die Expert*innen der Behörde schauen sich zum Beispiel auch an, ob der Boden auf der zusätzlichen Landebahn eines Flughafens so verändert wird, dass sich der Regenwurm nicht mehr wohl darin fühlt oder der Eintagsfliege das Wasser im Gebirgsbach zu trüb wird, um darin noch Steinchen für ihren Köcher zu finden. Neben Boden und Wasser spielt auch die Landschaft eine bedeutende Rolle und die Frage, ob sich Windkraftanlagen auf Geländerücken, Bergbahnstationen auf Berggraten mit ihr vertragen. Und ist im Konfliktfall das Projekt dennoch umweltverträglich?

Weil neben dem Biodiversitätsverlust auch der Klimawandel eine tiefgreifende Krise verursacht, sind auch die Auswirkungen auf das Klima zentraler Bestandteil der Prüfung. Und die Wechselwirkungen zwischen den Schutzgütern. Denn der Klimawandel wirkt sich unmittelbar auf die Gletscher aus, die sich aus dem Gletscherskigebiet zurückziehen, um neue, unberührte Böden freizugeben. Haben die Bagger und Pistenraupen, die dieses alpine Urland bearbeiten, Auswirkungen auf diese Böden und sind die dann noch umwelt- oder naturverträglich?

Kein „Dinner for One“ mehr!

Die UVP ist ein „gesellschaftliches Ereignis“. Ein zivilgesellschaftliches. Denn erstmals in der UVP wurde für die Öffentlichkeit die Möglichkeit geschaffen, die Wahrung von Umweltinteressen im Behördenverfahren einzufordern, wenn ein Vorhaben den vom Gesetzgeber festgelegten Schwellenwert überschreitet.¹ In einer UVP können nämlich Umweltorganisationen wie der Alpenverein mit anderen Parteien, wie zum Beispiel den Umweltanwaltschaften der Bundesländer, ganz offiziell und mit vielen Rechten ausgestattet am Verhandlungstisch Platz nehmen.

Oder eben Bürgerinitiativen. Denn jedes Mal dann, wenn 200 besorgte Bürger*innen zusammenfinden und Verantwortung übernehmen wollen, können sie das in einem Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren auch tun. Wenn sie in der Standortgemeinde und in einer der Nachbargemeinden wahlberechtigt sind und innerhalb der sechswöchigen Frist, in der das Projekt im Gemeindeamt aufliegt, eine Stellungnahme unterschreiben, aus der hervorgeht, dass aus wohl überlegten Gründen das konkrete Projekt abgelehnt wird, müssen ein paar Stühle mehr an den Tisch gestellt werden. (Auch) das ist tatkräftiger Einsatz für Natur und Umwelt. Damit die hohen Umweltstandards nicht auf der Strecke bleiben.

¹Seit Ende des Jahres 2019 gibt es auf Bundesebene und in allen Bundesländern auch andere Beteiligungsmöglichkeiten, die nach jahrelangem Ringen (ganze Schneckengenerationen lang…) und einem Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen Österreich für Umweltorganisationen geschaffen wurden. Damit können sie auch in kleineren Verfahren nach anderen Gesetzen wie z.B. dem Wasserrechtsgesetz oder den Naturschutz- und Jagdgesetzen aktiv werden und z.B. einen Forststraßenbau in einem europäischen Schutzgebiet oder die „letale Vergrämung“, wie das Töten von besonders geschützten Tierarten auch genannt wird, kritisch hinterfragen.

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Liliana Dagostin ist Leiterin der Abteilung Raumplanung und Naturschutz des Österreichischen Alpenvereins.

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