Permafrost ist dauerhaft und durchgehend gefrorener Boden. Hört man das Wort, so kommen einem meist die weiten Tundraflächen in Sibirien, die nordkanadische Wildnis oder eben die klirrend kalte Arktis in den Sinn – alles richtig weit weg. Was aber Kitzsteinhorn, Zugspitze oder Gemsstock damit zu tun haben und warum ein 40° steiler Nordhang nicht nur was mit Tourenplanung und Lawinenlage zu tun hat, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

 

Unsichtbarer Klimazeiger

Die sich zurückziehenden Gletscherzungen sind eindeutige und mit dem bloßen Auge erkennbare Anzeichen dafür, dass sich das Klima in den Alpen erwärmt und zwar viel zu schnell. Mehr als 2 °Celsius seit Ende des 19. Jahrhunderts sind es schließlich schon. Ein weiterer wichtiger Klimazeiger ist der Permafrost: Er versteckt sich unscheinbar unter der Erdoberfläche in Böden, Schuttflächen oder Felswänden – dessen Bedeutung und vor allem die Auswirkungen, wenn er taut, sind aber alles andere als unscheinbar.

Bleibt Boden- oder Felsmaterial mindestens zwei Jahre hintereinander dauerhaft unter 0 °Celsius, spricht man von Permafrost – also dauerhaft gefrorenes Material, unabhängig davon, ob Eis vorhanden ist oder nicht. Die oberste Bodenschicht taut zwar jeden Sommer bis in eine bestimmte Tiefe auf, unterhalb dieser sogenannten Auftauschicht übersteigt die Boden- oder Felstemperatur jedoch nie den Gefrierpunkt – und das ist seit mehr als 10.000 Jahren seit dem Ende der letzten Eiszeit der Fall.

Abbildung 1 : Schematisches Temperaturprofil im Permafrost. In der Auftauschicht schwankt die Temperatur von gefroren (Winter) zu aufgetaut (Sommer). Darunter bleibt die Temperatur dauerhaft unter null: der Permafrostkörper. Aufgrund der Wärme aus dem Erdinneren übersteigt die Bodentemperatur in einer bestimmten Tiefe wieder die 0°. (Quelle: Nötzli & Gruber, 2005: Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt, München).

Eiskalter Flickenteppich

Permafrost kann sich in Klimaregionen bilden, wo die Jahresmitteltemperatur im Bereich von -6 bis -8 °Celsius oder sogar darunter liegt. So ist in der Arktis (Sibirien, Kanada) der Boden über Tausende von Quadratkilometern flächendeckend bis in Tiefen von 900 Meter oder mehr gefroren – man spricht von kontinuierlichem Permafrost. In den Alpen und allen Hochgebirgen der Welt zeigt sich ein anderes Bild: Je höher wir hinaufgehen, desto näher sind wir an den Klimaverhältnissen der Arktis dran (Jahresmittel Zugspitze, 2962 m: -4 °C) und Nordhänge sind deutlich kälter als Südhänge. Daher findet man in den Alpen Permafrost oberhalb von etwa 2.500 Metern in schattigen Expositionen und nordseitigen Felswänden, südseitig liegt die Untergrenze von Permafrost deutlich höher.

Permafrost
Abbildung 2: Aktiver Blockgletscher im Hochebenkar oberhalb von Obergurgl, Ötztaler Alpen. Der Blockgletscher kriecht im Schnitt 2-3 Meter pro Jahr talwärts, seine Stirn liegt auf rund 2.300 m. Foto: Tobias Hipp

Und noch ein Phänomen begünstigt alpinen Permafrost: Größere Schuttflächen bzw. -hänge halten kalte Luft aus dem Winter in den Zwischenräumen gefangen und kühlen den Boden um bis zu 4 °Celsius im Vergleich zur umgebenden Lufttemperatur herunter. Unterhalb solcher Schutt- und Moränenflächen kann sich Permafrost also auch in deutlich niedrigeren Höhenlagen halten. Das beste Beispiel dafür – und auch die einzige Form von Permafrost, die man mit dem bloßen Auge erkennen kann – sind die Blockgletscher: eine Masse aus Blöcken, Schutt und Eis, welche langsam hangabwärts kriech.

Es taut im Untergrund

Das letzte Jahrzehnt war global das wärmste in der Erdgeschichte, die letzten Jahre allesamt Rekordjahre, was die Lufttemperatur angeht. Im Vergleich zum Gletschereis braucht es etwas mehr Zeit, bis die warmen Lufttemperaturen in den Boden oder die Felswand vordringen. Der Effekt von einem warmen Jahr oder Sommer zeigt sich also nicht unmittelbar wie bei der Gletscherschmelze, sondern erst mit einem zeitlichen Versatz von bis zu mehreren Saisonen. Nun ist der Trend aber eindeutig angekommen:

 

Noch nie zuvor wurden so hohe Boden-/Felstemperaturen im Permafrost gemessen wie im vergangenen Sommer und die Geschwindigkeit der Erwärmung ist alarmierend. In einer Tiefe von 20 Metern hat sich z.B. der Permafrost in der Schweiz in den letzten 20 Jahren um 0,8 – 1,0 °Celsius erwärmt, in niedrigeren Bodenschichten ist es deutlich mehr. Und damit nicht genug: Seit 1850 ist die Untergrenze des Permafrosts um etwa 150 Meter nach oben gewandert, bei einer weiteren Erwärmung von 1,5 °Celsius würde die Permafrostgrenze um weitere 200-750 Meter ansteigen.

Klebstoff der Alpen wird spröde

Im Hochgebirge kann die Stabilität ganzer Bergflanken, Schutt- und Moränenhänge und sogar Felswänden direkt abhängig sein vom Permafrost. Je kälter das Gemisch aus Fels und Eis, desto stabiler ist das Ganze: Kalter Permafrost ist bekanntermaßen der Klebstoff in den Alpen. Und dabei kommt es gar nicht darauf an, ob der Permafrost wirklich über die 0-Grad Grenze hinausgeht und dauerhaft verschwindet: Allein schon die Erwärmung des Materials in den Bereichen zwischen -2 und -4 °Celsius reicht aus, um die Masse weicher werden und kriechen zu lassen.

 

Je tiefer die Wärme in den Berg eindringt und je mächtiger die Auftauschicht wird, umso mehr Material kann mobilisiert werden und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass stabilisierendes Eis in den bis dahin gefrorenen Klüften und Spalten im Fels auftaut. Als Folge können Hänge talwärts kriechen, Steinschlag aus Felswänden nimmt zu und stabile Hütten- und Seilbahnfundamente sacken ab. Sogar für die Auslösung großer Fels- und Bergstürze kann immer häufiger der tauende Permafrost als ein Hauptverantwortlicher ausgemacht werden.

 

Kurzum, die Gefahren im Hochgebirge verändern sich, nehmen in der Fläche zu und stellen uns Bergsportlerinnen und Bergsportler vor neue Herausforderungen. Über Jahrzehnte hinweg hielt stabiler kalter Permafrost die alpinen Gefahren, v.a. Steinschlag und Felssturz, entlang vieler klassischer Normalwege oder in Nordwänden in den hohen Bergen der Alpen halbwegs in Schach, das Risiko war kalkulierbarer. Heute werden die Zeitfenster für sichere Begehungen immer kürzer und manche Routen gar unbegehbar.

 

Aus der Praxis 1: Die kleine Permafrostlinse zwischen Tirol und Bayern

Man muss nicht in die Arktis reisen, um auf Permafrost zu stehen: In den Ostalpen gibt es verbreitet Permafrost entlang des Alpenhauptkamms, aber auch in den niedrigeren Voralpen, wie im Karwendel oder den Berchtesgadener Alpen, kann Permafrost vorkommen.

Permafrostmessungen
Permafrostmessungen auf der Zugspitze. Foto: Felix Mannheim

Durch Messungen entlang eines Stollens innerhalb der Zugspitze konnte hier eine kleine Permafrostzone zwischen Bayern und Tirol nachgewiesen werden. Setzt sich der aktuelle Erwärmungstrend der Luft- und Bodentemperatur so wie aktuell fort, wird die bayerisch-tirolerische Permafrostlinse wohl gegen 2040 verschwunden sein.

 

Aus der Praxis 2: Eine Hütte wird baufällig

Mehr als 120 Jahre lang stand das Hochwildehaus des DAV auf 2.883 Meter Höhe stabil am Rande des Gurgler Ferners in den Ötztaler Alpen. Unter der Hütte waren über Jahrzehnte kleine Eislinsen eingelagert, dauerhaft gefroren im vermeintlichen ewigen Permafrost. Die Eislinsen sind nun aufgetaut, der Boden ist mitsamt der Hütte abgesackt und hat diese baufällig werden lassen.

Abbildung 3: Baufälliges Hochwildehaus aufgrund tauendem Permafrost. Foto: DAV

Damit zu kämpfen hat auch die Bergstation der Seilbahn auf den Gemsstock auf rund 3.000 Metern bei Andermatt, welche nun technisch aufwändig gesichert werden muss. Diese Beispiele werden keine Einzelfälle bleiben: Viele Hütten, Seilbahnfundamente oder Bergstationen in den Alpen stehen noch auf Permafrost, sind aber genau in dem Höhenbereich, wo es aktuell zu tauen beginnt.

Aus der Praxis 3: Große Bergstürze an bekannten Bergen

Meist ist es schwierig, tauenden Permafrost als alleinigen Auslöser von großen Bergstürzen auszumachen, denn zu viele weitere Umstände tragen zu so einem Ereignis bei, wie z.B. kleine nicht spürbare Erdbeben, Starkregen und Extremwetterereignisse oder abschmelzende Gletscher am Wandfuß. Im vergangenen Jahrzehnt aber häufen sich die Ereignisse und der Zusammenhang zwischen Temperaturanstieg, Verschiebung der Permafrostuntergrenze und Felssturzereignis wird stärker.

Bergsturz
Abbildung 4: Großer Bergsturz an der Petit Drus im Mont Blanc-Massiv. Foto: Ludovic Ravanel

Allein in der Schweiz wurden mindestens zwölf größere Felsstürze aus Permafrostbereichen beobachtet, darunter z.B. am Piz Cengalo im Bergell (1,5 Mio. m³ in 2013; mehr als 3 Mio. m³ in 2017), am Birghorn (500.000 m³, 2011) oder am Piz Kesch im Engadin (150.000 m³, Winter 2014). Mittlerweile wiederholen sich größere Felsstürze an den Granitzacken im Mont Blanc-Massiv regelmäßig, allen voran an der Aiguille du Dru.

 

Klimazeitbombe tauender Permafrost

Permafrost existiert auf ca. einem Viertel der Landoberfläche der nördlichen Halbkugel. Während Permafrost in den Alpen wichtig ist für die Stabilität unserer Berge, erfüllt der arktische Permafrost noch eine zentrale Funktion als Kohlenstoffspeicher. Über Jahrtausende wurde organisches Material (z.B. tote Lebewesen und Pflanzen) und somit große Mengen an Kohlenstoff im Permafrost eingelagert und dauerhaft gespeichert. Konkret sind das etwa 1.500 Gigatonnen (1 Gigatonne = 1 Milliarde Tonnen) an Kohlenstoff, etwa doppelt so viel wie momentan in der Atmosphäre gespeichert sind.

Wenn nun die Permafrostböden großflächig auftauen, verwandeln sie sich in tickende Zeitbomben. Es entstehen sumpfähnliche Landschaften und Seen, die große Mengen Methan in die Atmosphäre abgeben. Zum Vergleich: Methan ist ein viermal stärkeres Treibhausgas als CO2. Durch die Erwärmung wird Permafrost also von einem Kohlenstoffspeicher zu einer Kohlenstoffquelle und kurbelt so den Klimawandel weiter an.

Ist dieser „Tipping Point“ erreicht, wird Permafrost die globale Erwärmung in einem noch unsicheren, aber alarmierenden Umfang beschleunigen und zu einer der größten Quellen für Treibhausgase werden.

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Dr. Tobias Hipp ist physischer Geograf und promovierte in Norwegen an der Uni Oslo über die Auswirkungen des Klimawandels auf den alpinen Permafrost in den Bergen Norwegens. Hauptberuflich ist er beim Deutschen Alpenverein im Ressort Naturschutz und Kartografie tätig.

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