Endlich stehen wir oben am Grat. Ein halbstündiger Hike liegt hinter uns. Das Board ist am Rucksack fixiert. Der steile Anstieg war anstrengend. Jetzt wird der Atem wieder ruhiger.

Die Perspektive von hier oben ist eine völlig andere. Der Blick schweift über das Gelände, dass sich uns eröffnet. Links ist zwar immer noch das Schigebiet zu sehen, zur rechten Seite hin öffnet sich aber eine gänzlich unverspurte Geländekammer. Der Herzschlag geht wieder schneller. Vor Freude.

Wir diskutieren verschiedene Lines, überprüfen unsere LVS Geräte, checken erneut den Lawinenlagebericht auf unseren Handys, schauen uns die angedachte Line nochmals „neu“ an.

Abfahrtsreihenfolge? Treffpunkte? Board an und Drop in!

risknfun
3, 2, 1 – Drop in!

Kennt Ihr solche Tage? Erinnert Ihr Euch an das geniale Gefühl, von einem Powderturn in den nächsten zu gleiten? Was benötigt Ihr für Infos und für ein Setup, dass ein solcher Tag am Abend dann auch ein guter war? Wir wollen Euch mit den nachfolgenden Zeilen ein paar Inputs liefern. Dabei haben wir den Freeridetag zeitlich untergliedert in Planung, im Gebiet, Entscheidung und den Blick zurück.

Eines sollte gleich zu Beginn angeführt sein. Lesen ist eine gute Sache. Ausschlaggebend ist jedoch, sich in der Praxis damit auseinanderzusetzen und sich gegebenenfalls im Rahmen einer Ausbildung wie etwa risk´n´fun, das Ausbildungsprogramm der Alpenvereinsjugend für Freerider*innen ab 16 Jahren, das erforderliche Know-how anzueignen. Dann fällt umsichtiges und eigenverantwortliches Freeriden um einiges leichter und macht noch mehr Spaß!

PLANUNG – oder die gute Basis

Bei der PLANUNG sind viele Fragen zur berücksichtigen. Fragen zu mir selbst, zu meinen Freund*innen, mit denen ich im Gelände unterwegs bin, zur Lawinensituation sowie zum gewählten Gebiet und Gelände. Antworten darauf sind situationsbedingt und jeden Tag aufs Neue zu finden: Was die Planung heute stark beeinflusst, kann zwei Tage später bereits belanglos sein.

Bei risk´n´fun steht der Mensch im Mittelpunkt. Wie geht es mir? Wie fühle ich mich? Mit wem bin ich unterwegs? Haben wir das fahrerisch gleiche Level? Haben wir die Ausrüstung gecheckt? Was muss überhaupt alles in meinem Rucksack sein? Wo soll es hingehen? Wie ist die Wetterprognose und wie der Lawinenlagebericht? Das sind alles Fragen, die bereits zu Hause gestellt werden können und spätestens in der Gondel beantwortet werden sollten.

Ich packe meine Freeride-Rucksack…

„Was ich an einem Freeridetag alles in meinem Rucksack habe? Die komplette und gewartete Notfallausrüstung – also ein LVS Gerät der neuesten Generation (3 Antennen) mit vollen Batterien, eine Schaufel aus Metall mit möglichst großem Schaufelblatt und langem Teleskopstil und eine lange Sonde (265 cm) mit Schnellspannmechanismus.

Was in meinem Rucksack auch nicht fehlen darf sind:

  • Biwaksack
  • Erstehilfe Package mit Samsplint
  • ein kleines Werkzeugtool inklusive Hartwachs
  • 2 Kabelbinder und Tape für kleinere Reparaturen
  • Thermoskanne
  • ein paar Riegel zum Essen
  • Ersatzhandschuhe
  • eine zweite Brille

Je nach Gebiet hänge ich mir für alle Fälle Teleskopstöcke an den Rucksack. Die können einem bei langen Flachstücken das Leben um vieles leichter machen!“ Gitti Köck, risk´n´fun Trainerin und Snowboardführerin.

EMPFEHLUNG: LVS CHECK

Mit dem LVS Check kann gemeinsam sichergestellt werden, dass alle Geräte eingeschaltet sind und funktionieren: Beim kleinen LVS Check wird die Funktion SENDEN geprüft, beim großen LVS Check werden beide Funktionen: SENDEN und SUCHEN – überprüft. Es hat sich etabliert, den kleinen LVS Check vor jedem Start ins Gelände durchzuführen. Der große LVS Check ist eine Empfehlung, bei den risk´n´fun Ausbildungsterminen wird er immer gemacht!

IM GEBIET

Schon die ersten Blicke – beispielsweise beim Aussteigen aus dem Auto, bei der ersten Liftfahrt nach oben, dem Warm Up auf der Piste – nutzen wir, um gegen zu checken, ob unsere Vorabinfos zur Planung mit dem übereinstimmen, was wir hier und jetzt sehen. WAHRNEHMEN ist das Gebot der Stunde. Je mehr ich sehe umso mehr kann ich später ein- oder ausschließen.

Was ist in der Umgebung zu sehen? Welche Zeichen kann ich bereits jetzt erkennen? Gab es Neuschnee in der Nacht oder am Vortag? Sehe ich irgendwo Windzeichen? Wo ist der nordseitige Hang von der Karte, wo der Grat, um in die möglichweise noch unverspurte Geländekammer zu kommen? Wo sind gute Runs? Was gilt es dabei zu bedenken?

Jetzt ist auch ein guter Moment, das Material von allen nochmals zu prüfen. Haben alle die Notfallausrüstung dabei? Sind die Geräte funktionstüchtig und auf „Senden“? Ist im Airbag eine volle Kartusche eingesetzt? Sitzt der Auslösegriff richtig?

Die Gruppe gilt es natürlich nicht zu vergessen. Wer ist endgültig mitgekommen? Was ist unsere gemeinsame Herangehensweise? Haben wir eine Kommunikationsform, in der wir auch Bedenken äußern können? Wie geht es mir? Wie läuft es in der Gruppe? Wie schaut es mit unserer Risikobereitschaft aus? Ticken wir alle ähnlich? Ist jemand besonders defensiv? Gibt es jemanden, der besonders pusht?

EMPFEHLUNG: LAWINENLAGEBERICHT

Der Lawinenlagebericht ist DAS Planungswerkzeug, täglich aktualisiert und fast überall abrufbar. Der LLB ermöglicht bereits im Vorfeld eine erste, lawinenbezogene Orientierung. Er beschreibt die aktuellen Bedingungen und weist darauf hin, auf welche Gefahren besonders zu achten ist.

Der LLB informiert über die aktuelle Gefahrenstufe, Gefahrenstellen und Gefahrenquellen.

LLB AufbauZusätzlich können im Begleittext Informationen zu Schneedeckenaufbau, Prognosen der Lawinensituation sowie der Wetterentwicklung nachgelesen werden. Die Kompetenz, alles, was im Lawinenlagebericht gelesen wurde, zu verstehen und ins Gelände zu übersetzen, ist die wirkliche Kunst und Herausforderung.

ENTSCHEIDUNG. BEURTEILEN UND ENTSCHEIDEN.

Zurück zum Anfang. Wir stehen wieder oben am Grat und unser Blick richtet sich in „unsere“ unverspurte Geländekammer. Wie agieren wir jetzt?

Jetzt gilt es alle wahrgenommenen Fakten zu sammeln, sie zu BEURTEILEN und dann zu ENTSCHEIDEN. Alle machen den Faktencheck, gemeinsam und für sich. Auch das geht am besten mit Antworten auf Fragen: Ist das, was wir gesehen haben, relevant für uns – oder gefährlich? Passt eine JA Entscheidung zur Hangneigung und der Hangausrichtung? Bleibt das JA ein JA, wenn ich es in Beziehung zur aktuellen Lawinenwarnstufe setze und die Befindlichkeiten von mir und der Gruppe dazu denke?

Auf Basis dieser Sammlung können wir eine Entscheidung FÜR oder GEGEN eine Abfahrt treffen. Nur das, was ich gesehen und beurteilt habe, kann ich bewusst in meine Entscheidung aufnehmen.

Ehe es für alle tatsächlich los geht, ist zu klären: Gibt es eine Abfahrtsreihenfolge? Wer startet als erstes? Wer fährt am Ende? Gibt es sichere Sammelpunkte, bevorzugt auf Kuppen oder Rücken, sodass die Nachkommenden im Blickfeld sind und auch die weitere Abfahrt einsehbar ist? Wissen alle, wo die Treffpunkte sind? Sind Bereiche da, die auszugrenzen sind? Mit all den passenden Antworten im Kopf lässt sich die Abfahrt entsprechend genießen. DROP IN. Endlich. Der Schnee staubt, und es geht von einem Turn schwerelos in den nächsten.

TIPP: ENTLASTUNGSABSTÄNDE

Bei der Abfahrt sind Entlastungsabstände aus verschiedenen Gründen sinnvoll und wichtig: Abstände einhalten und einzeln fahren verringern die Zusatzbelastung der Schneedecke und damit die Auslösewahrscheinlichkeit einer Lawine. Zudem bleibt im Falle einer Schneebrettauslösung das Schadensausmaß möglicherweise geringer und die nicht Verschütteten stehen für die Rettung zur Verfügung.

DER BLICK ZURÜCK – oder round and round it goes

Der Run war genial. An einem Safe Spot treffen wir uns wieder und schauen zurück auf unsere Lines. Fast wie ein Kunstwerk sieht das aus. Da kommen schon erste Gedanken und nächste Ideen auf. Weil: Nach dem Run ist vor dem Run. Die Einschätzung der Lawinengefahr am frühen Vormittag kann nicht für den ganzen Tag verstanden werden, ebenso wenig meine persönliche Verfassung. Bedingungen und Befindlichkeiten ändern sich, und auch der nächste Run braucht Zeit für „wahrnehmen – beurteilen – entscheiden“. Die bereits gemachten Erfahrungen und Vereinbarungen gilt es in die nächsten Runs zu integrieren. “Erfahrung ist die Summe an überlebten Fehlern,” heißt es, und wir ergänzen: “Wenn sie reflektiert und verstanden wurden.”

TIPP: RISK´N`FUN I LEVEL 1 I TRAININGSSESSION

Im Rahmen der Trainingssession wird gemeinsam mit Trainer*in und Berg/Snowboardführer*in eine eigene Freeridestrategie entwickelt. Kurze Hikes in Pistennähe, zahlreiche Entscheidungssituationen und Abfahrten im freien Gelände stehen dabei am Programm. Ziel ist es, dass ihr nach der Session selbst entscheiden, selbst argumentieren, selbst Lines und Abfahrtsvarianten finden könnt, die zu den jeweiligen Bedingungen passen.

Alle Infos zu den Kursen und Angeboten von risk’n’fun gibt es unter www.risk-fun.com

 

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Dani Tollinger ist seit 2000 im Leitungsteam von risk'n'fun und für die Gesamtleitung verantwortlich.

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Eva Schider ist freiberufliche Berg- und Skiführerin und macht für die Alpenvereinsjugend u.a. die Jungen Alpinisten Youngsters- und risk'n'fun-Kurse.

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